Start Allgemein Das neue Album „Grenzgänger“ von Eisregen kratzt am Index – Review

Das neue Album „Grenzgänger“ von Eisregen kratzt am Index – Review

1993
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Schon beim ersten Hören des am 13. Januar erschienenen Silberlings „Grenzgänger“ von Eisregen im Label von Massacre Records hyperventilieren die Gehörgänge. Positiv: Die düstere Metal-Mucke stellt auf Anhieb den Headbanger-Regler auf ein „Haut voll rein“. Die Texte allerdings bereiten mörderisches Bauchweh – und wir sind nicht zartbesaitet.

So schlimm? Kurz gesagt: Jein.

Von Nachtblut über Samsas Traum bis hin zu Rammstein sortieren sich die Songs von Eisregen musikalisch gekonnt in die branchenüblichen Genre-Schubladen ein.

Gothic-Metal-NDH-Elemente, spannungsfreudig abgemischt, in kratziger Stimme gesungene Lyrics, die einen Edgar Allan Poe erbleichen lassen, Tabu-Themen wie Tötungsgedanken, blutige Massaker, Leichenkonservierung, reißen uns aus unserer Bequemlichkeit. Angekündigt als „Deutschlands morbideste Hitfabrik“ hören wir psychotische Gedankenspiele, je Lied anfangs harmlos und sich zum intensiven Gruseln steigernd. Behalten wir dies als Intention im Auge.

Menschen, die empfindlich auf Dinge wie Kettensägen-Massaker-Kinobuster reagieren, seien gewarnt vor dem Kopfkino, dass diese Scheibe auslöst. Die Lust am Töten/am Tod verdeutlichen Titel wie „Wiedergänger“, „Als ich noch Kinder frass“, „Kadaverfrühling“. Besungen, bzw. beschrien, werden historische Geschehnisse, Kriminalfälle, Endzeitliches. Wir tauchen tief hinein in die abgründige Songwriter-Seele eines Herrn Roth und stellen fest: Eisregen auf dem Straßen verursacht tückische Glätte, Eisregen auf dem Plattenteller hingegen fördert düstere Süchte nach spannungsreicher Dark Musik. Wie konnten wir diese Band 27 Jahre übersehen?

Eisregen in Wikipedia
„Eisregen ist eine 1995 gegründete deutsche Dark-Metal-Band aus der thüringischen Kleinstadt Tambach-Dietharz. Durch ihre morbiden, deutschsprachigen Texte zog die Band nach einiger Zeit die Aufmerksamkeit der BPjM auf sich, was zur Indizierung dreier ihrer Alben führte.“

Derzeit singt Michael „Blutkehle“ Roth für das Quartett, die Gitarre reitet „El Hoppelo“ (seit 2017), den Bass „El Loco“ (seit 2013) und für den Takt zeichnet sich das Schlagwerk von Ronny „Yantit“ Fimmel verantwortlich. Beschert ihnen das 16. Studio-(Doppel-)Album „Grenzgänger“ den erwünschten Erfolg oder landen sie damit wieder auf dem Index? Manche Textstellen, weil hingenuschelt, gehen akustisch unter, einige Schilderungen möchte das Hirn nicht aufnehmen, doch musikalisch gesehen holen sie Gothics und Metaljünger dort ab, wo das schwarze Herz pocht – in Geschichten rund ums Jenseits und exzessive Passionen.

Zitat:
„`Herbstleiche`ist eines meiner Lieblingsstücke in unserem gesamten musikalischen Schaffen: es ist ein sehr morbides Liebeslied, geschrieben aus der Perspektive eines Mörders, der den geliebten Menschen für die Ewigkeit konserviert.“ – Mitch Roth, Sänger und Songwriter Eisregen

„Grenzgänger“ als Album und gleichnamiger Song wurde im bandeigenen HcN-Studio (Yanit) produziert und erhielt seinen Schlussschliff in der renommierten Klangschmiede Studio E zu Mellrichstadt.
Trotz der 17 Songs – und der beachtlichen Feilerei an dieser CD-Produktion, die wir durchaus honorieren – hören wir das Werk mit zwiespältigen Gedanken. Ein krankes Hirn, Kanibalismus, das Zerteilen von Leichen, sich Ergötzen am Tod bzw. an Todesqualen – stellen keine jugendfreien Inhalte dar. Grind-Metal dagegen passt musikalisch perfekt zur religiös-inspirierten Wut-Ballade „Als ich noch Kinder frass“, doch das teils unverständliche Gebrüll, gegen überlaute Gitarren und peitschende Drums ankämpfend, nervt. Nur als Hinweis: Uns fehlen zum Zeitpunkt der Bemusterung die Songtexte zu den Liedern – die werden oft nicht mitgeliefert von den Agenturen.

Die langsamen Lieder überraschen durch Leidenschaft und instrumentales Beiwerk. Kratziger Gesang unterlegt mit elektronisch aufbereiteten Mittelalterklängen inklusive Piano-Passagen erzählen das Märchen „Die Frau im Turm“. Das Epos „Herbstleiche“ kommt mit Hitpotenzial und geschliffenem Mastering daher. Hier steigt die Spannung bis zum blutrünstigen Schluss unerträglich an, inklusive einer brutalen Voice, die uns explizit Einzelblicke in das Haltbarmachen einer Leiche gewährt. Das atmosphärische Video dazu erscheint zeitgleich mit dem Album, eines der stärksten Lieder auf der CD. Abschließend stellen wir die Promo und unser eigenes Empfinden beim Hören dieser Neuerscheinung gegenüber.

Zitat Promotext: „CD 1 des Albums bietet 12 Songs, darunter zukünftige Klassiker wie das herb-brutale „In Einzelteilen“, das brutalen Death/Grind mit extrem eingängigen Parts verbindet; “Für den Kaiser”, ein sehr eigenwilliger Song über die Zeit der Gladiatoren aus der Perspektive eines Ich-Erzählers; den bereits vorab als Single ausgekoppelten Hit „Wiedergänger“ als Album Edit und zahlreiche andere monströse Lieder, die Sänger und Lyriker M. Roth in absoluter Bestform präsentieren.
CD 2 hält das hohe Niveau und bietet den fünfteiligen Lieder-Zyklus „Ein Jahr im Leben des Todes“.

Fazit: Eisregen hören, bedeutet für die Schreiberin, sich auf dem Sofa in die Decke einkuscheln und morbide Geschichten auf Bildschirmen zu schauen in der Gewissheit, dass die eigene Bubble sicher ist. Doch dann schlummerst du ein und wachst auf, weil eine schreiende Stimme dich in reißende Blutströme hineinzieht.
Das Album „Grenzgänger“ stellt ein reines Kunstprojekt dar, seine drastischen Lyrics reißen in Abgründe hinein und wollen in ihrer grausamen Gewalt ausgehalten werden. Schauen wir auf den Erfolg von Horror-Filmen, ist der Wunsch nach Morbiden nicht nur vorhanden, sondern wird erfolgreich in Bild oder Ton, bedient.
Somit schieben sich Eisregen mit ihrem neuen Silberling wie Musterschüler in die erste Reihe vor, um genau mit Phantasien jenseits des Alltäglichen Banales vergessen zu lassen und – die Lust aufs Leben zu puschen. Live zu sehen, wie diese Band ihr Konzept umsetzt, ist bestimmt nicht die schlechteste Idee.

Punkte: 8 von 10

Tracklist:

CD 1
1. Vorposten
2. Grenzgänger
3. In Einzelteilen
4. Für den Kaiser
5. Als ich noch Kinder fraß
6. Die Frau im Turm
7. Vom Loch-in-der-Wand-Club
8. Wiedergänger (Album Edit)
9. Auf Galgengrund
10. Kühlkammer
11. Gegengift
12. Stirb lächelnd 2023

CD 2
1. Kadaverfrühling
2. Blutsommer
3. Herbstleiche
4. Wintersabbat
5. Rigor Mortis

Eisregen
„Grenzgänger“
Label: Massacre Records
VÖ: 13.01.2023
Genre: Dark Metal

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Das Album ist in diversen Formaten über Massacre Records erhältlich: Als 2-CD Mediabook, limitierte Gatefold Vinyl Doppel-LP, limitiertes Box Set sowie in digitalen Formaten.
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